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Dr. Katrin Arrieta

Verschwiegene Paradiese. Zur Malerei von Denise Richardt

Text zum Katalog Propaganda Fide, Berlin, 2011

Denise Richardt ist Berlinerin. Das Berlin, in dem sie aufwuchs, war noch das geteilte, mit seinen ohne nennenswerte Sanierungseingriffe bis zur Abrissreife stehen gebliebenen gründerzeitlichen Wohnvierteln im Osten, wo neben Arbeitern und alten Menschen vor allem Studenten und Künstler gelebt hatten. Die hier entstandenen Refugien der Unangepassten und Mittellosen funktionieren teilweise noch heute oder entstehen neu: Eins davon ist die kleine Ateliergemeinschaft in dem verfallenen, immer noch eindrucksvollen Gebäude der einstigen Badeanstalt Oderberger Straße, der Denise Richardt angehört.

Denise Richardts Kunst wirkt wie ein großes antithetisches Unterfangen bezogen auf das, was eine so geschichtsbeladene, neuerlich boomende und globalisierte Stadt wie Berlin einzufordern scheint, wenn man hier malt. Sie hat sie nicht nur frei gehalten von thematischen Einlassungen auf dieses Großstädtische, sondern lässt auch dessen zunehmend abgegriffene Stimmungs-Manifestationen wie Hektik, Nüchternheit, Tristesse und Entfremdung nicht in ihren malerischen Weltenwurf ein. Stattdessen zeigt sich Malerei in ihrem Werk einmal mehr als ausgesprochene Erfindungs-Kunst: Ihr Gegenstand ist eine grandiose Fiktion von Landschaft als weitläufiger Daseinsort und Entfaltungsschauplatz vitaler Naturformationen, die hier großzügigste Spielräume haben. Es sind Ausblicke in eine Welt, die exotisch anmutet, festlich und frisch, entrückt wie ein Niemandsland und umso einladender, sich darin zu ergehen und umzusehen. Sie geben sich umfassend, als Berge, Ebenen, Wasser und Himmel einschließende Schöpfungspanoramen. Sind es Paradiese, in der Schwebe gehaltene Anfangskonstellationen, ein selbst geschaffener Freiheitsraum als Vision aus Farben und Formen? So zu fragen, mag pathetisch klingen, scheint aber doch berechtigt angesichts der Intensität, mit der die Malerin sich an ihrem Stoff abarbeitet.

Bildtitel wie „Pastorale“ und „Propaganda fide“ unterstreichen das metaphorisch mehr Empfundene als direkt so Gemeinte ihrer Landschaftsmalerei. Naturerleben, das sie in Bildwirklichkeit verwandelt, reflektiert sie stets auch gedanklich. Gleichwohl geht ihr Wissen und Phantasien mobilisierender Umgang mit dem Denkanstoß, der Natur ist, nicht zu Lasten ihrer sinnlich motivierten Entscheidungskraft beim Arbeiten. Eher scheint das Denken ihre Sinnlichkeit zu beflügeln und anzufachen. So sehr Denise Richardt bekennt, in einer kunsthistorischen Nachfolge der Ideallandschaften seit dem Barock zu stehen, so wenig abhängig sind ihre Haltung und die Art, wie sie sie umsetzt, von einzelnen Vorbildern. Zweifellos haben starke Erlebnisse ihr Thema freigesetzt und seine Durchführung initiiert: Erlebnisse in der italienischen Landschaft um Rom und Olevano, in mehrjährig anhaltender Abfolge, vertieft und bekräftigt durch inspirierende Begegnungen mit alter Kunst. Es stellt sich ja die Frage, welchen zeitgenössisch relevanten Boden das „Ideale“ gemalter Landschaften haben kann, unter den heutigen Umständen ausufernder touristischer und voyeuristischer Zugriffsmöglichkeiten aller auf alle Arten von Landschaft. Geht es um ein Gegenbild von Unversehrtheit, um die Vorstellung einer vom Trubel des Besitzergreifens so wenig berührten wie berührbaren Gegend, großartig wie ein jungfräulicher Planet und zu sehr entfernt, als das man sich seiner bemächtigen könnte?

Das Spekulative ihres Landschaftsentwurfs und manches an ihrer Arbeitsweise – dass sie vom Farbfleck in einem nicht impressionistischen Verständnis ausgeht, dass sie langsam, oft revidierend malt – rücken Denise Richardt in gewisse Nähe zu dem Deutsch-Römer Hans von Marées. Dessen stille, mit wachsender Isolation des Künstlers sich verdunkelnde Paradieswelten haben in ihrem Werk eine wie entzauberte, erhellte und glückhafte Parallele, in der die Farbe frei, die aber auch befreit ist vom Bedeutungsanspruch der bei Marées immer mit anwesenden menschlichen Gestalt. Denise Richardt konzentriert sich auf das, was in Marées kühnsten, unvollendeten Schöpfungen als Arbeitsansatz deutlich wird: Das Formlose des lufterfüllten Raums und die vagen Formen der natürlichen Landschaft malerisch zu definieren, ohne sie durch das damit aufgestellte Gesetz einer allzu einseitigen Ordnung zu unterwerfen: Die malerische Definition beinhaltet das vieldeutig Bewegte und insofern Theatralische dieser Erscheinungen und zielt trotzdem auf ein Höchstmaß an disziplinierter, gleichsam musikalischer Durchführung. Es ist ein barockes Prinzip, das hier waltet, die – übrigens auch modernen Phantasien geläufige – Verschränkung von Himmel und Erde, mit dem Aufbrechen aller Grenzen in Richtung des Paradieses und der Hölle. Denise Richardts gelegentliche Erwähnung Piranesis zeigt, dass auch die dunkle Seite des Barock, die der „Carceri“, des grenzenlos Unheimlichen, ihr nicht fremd ist. Zwar zitiert sie mit den in ihre Landschaften wie eingewobenen Architekturfragmenten Piranesi nicht: Mehr als die Ruinen der römischen Antike interessieren sie sakrale Bauwerke aus frühchristlicher Zeit und besonders deren rätselhafte Fußbodenornamente. Der Gedanke sei aber doch erlaubt, ob nicht das Ruinen-Motiv als Bestandteil ihrer Ideallandschaften in quasi sublimierter Form die ruinöse Gegenwart Berlins aufscheinen lässt, eine Gegenwart mit einer ähnlich ambivalenten Aura, wie Piranesi sie einst vor den Ruinen Roms empfunden haben mag. Es ist wie ein im Hintergrund mitschwingender Maßstab, eine „Geometrie“, die ihren Anteil an der Landschaftsausprägung einfordert – und in der Tat strukturieren diese Architekturen das Bildgeschehen ganz wesentlich mit. Sie bewirken letztlich auch, dass die aus einem lustvoll betriebenen Naturstudium immer neu ihren Bildern zufließenden, starken Farb- und Formeindrücke in einen Modus der Verschwiegenheit eingehen, der verbietet, dass man die Bilder Denise Richardts als „Realität“ interpretiert.