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Christoph Tannert

Malerische Aggregatzustände im Wandel

Text zum Katalog Pentimenti, Berlin, 2017

Sich heutzutage mit Malerei auseinanderzusetzen, vorwiegend mit Naturerfassung und Landschaftsmalerei, ist längst kein Anachronismus mehr. Im Gegenteil, es ist für Denise Richardt bereichernd, die Frage nach der Art und Funktion der Bildproduktion und den diversen Plattformen der Bildlichkeit aus dem Blickwinkel des Fotografischen und der Videoproduktion zu formulieren – und doch weiterzumalen.

Die Künstlerin hat sich für einen Standpunkt nicht außerhalb, sondern im System der Malerei entschieden, um Bildpolitik vor dem Hintergrund historischer und sozialer Bedingungen mit dem Arsenal der Malerei zu ergründen und das Wesen und die Sprache von Malerei von heute aus zu bewerten. Dabei geht es immer um das Malereispezifische, weniger um ein Motiv als vielmehr um das Bild, verstanden als absoluter Malraum. Im Bewusstsein des Vorläufigen lagern sich die Fragen ab. Was ist ein Bild? Was ist Raum? Wie übersetzt man Flächiges in Räumliches? Landschaft ist diesbezüglich kein Thema für sich, vielmehr trägt es Beispielcharakter in sich. Haltung wird im Farbauftrag, in der Oberflächenbehandlung, in der Leinwandwirklichkeit gebildet. Und die Künstlerin ist sich sicher: „Ich muss nicht eine Landschaft bewältigen, ich muss etwas Malerisches bewältigen.“ (Denise Richardt im Ateliergespräch mit dem Autor am 18.07.2017)

Denise Richardt malt, weil es sie interessiert, der Gattung Landschaftsmalerei einen neuen Ansatz zu geben. Der Umgang mit traditionellen Mitteln und Gegenständen bedarf längst keiner Verteidigung mehr. Der Ausdruck individueller Gefühle wird bewertet wie lange nicht mehr: was das Bild abbildet, zählt ebenso wie seine Identität als ein autarker Stoff. Natürlich hat sie ihre Materie nicht beliebig gewählt. Das Was zählt genauso stark wie das Wie. Andererseits tritt bei ihr das Motiv Landschaft ganz wesentlich als autarkes Element hervor – was bezüglich der nachkonzeptuellen Malerei in Deutschland nicht ohne Vorgeschichte ist.
Aber Denise Richard ist keine Romantikerin, denn sie hat sich für dieses langsame, aufwendige und subjektabhängige Handwerk entschieden, eben weil durch Fotografie, reproduktive Medien und das Internet der Stellenwert von Malerei neu justiert wurde.

Eine Reise nach Litauen im September 2016 gab den Anstoß, um ins Malen neuer Bilder zu kommen. Diese hatte sie bereits in Grundzügen im Kopf. Die Erhabenheit bestimmter Erlebnismomente sollte sich am Vorgewussten und an dem, was sie in ihrer Identität mitbrachte, brechen. Ganz anders als in ihren farbwarmen „Italienischen Landschaften“, mit denen sie sich seit 2009/2010 in unterschiedlichen Etappen von Berlin und von den Einflüssen der Dieter-Goltzsche-Schule zu emanzipieren suchte. Langsam begann ihre Oberflächen aufbrechenden Pinselspuren sie ganz in die künstlerische Empfindung zu tragen. Bildstrukturen wurden verschoben, um Kurs auf die Gedankenverlorenheit zu nehmen, das Suchen im Unausgesprochenen, Unverfestigten.

Denise Richardts „Litauische Landschaften“ halten fest, wie sie sich selbst sieht, im Durchstreifen von Arealen des Freiheitlichen in der Tiefe des Raumes. Das Landschaftsbild präsentiert sich hierbei als autonomer Gegenstand, der Anker für diverse Erinnerungsschichten ist. Aus der Ferne klingt deutsches Wald-Erleben an. Das Spiel im Gelb-Grün-Rot der „Trikolore Litauen“ (2016/17) unterstreicht jedoch prägnanter das Farbexperimentelle als eine Zuordnung zu den Nationalfarben. Auch was sich bei Denise Richardt aus dem sozialen Kontext speist, landet nie im Plakativen.

Das Besondere ihrer neuen Bilder liegt in der Ambivalenz der Gegenstandserscheinung.
Denise Richard wäre nicht sie selbst, würde sie vorgegebene Wirklichkeiten einfach nur auf die Leinwand übertragen. So wie sie zwischen Konkretion und Abstraktion hin und her wechselt, Mikro- und Makroperspektiven tauscht, Nahsicht und Fernsicht verschwistert, so setzt sie folgerichtig alle Energie ein, jedes Bild zu einem Ereignisfeld der Farbe werden zu lassen, das auf der Leinwand permanent seine Struktur wechselt.

„Gethsemane“ (2017) ist ein Nacht- und Gartenbild. Allerdings kann man es nicht anschauen, ohne dass im eigenen Augenhintergrund diverse Kreuzwegdarstellungen aufgerufen werden und der Sinn der Passion seelenkaleidoskopisch gestreift wird. „Gethsemane“ wird im Auge kenntnisreicher Betrachter, so darf angenommen werden, zu einer emotionale Zone. Dieses Bild geht über eine einfache Ortsansage weit hinaus und teilt sich deutlich mit als Chiffre für eine Grunddisposition, für den Herzverstand der Künstlerin. Dem Geistigen ist sie auf der Spur, erst in zweiter Linie den Oberflächen. Das lässt sich am Eindrücklichsten im Vergleich der Bilder „Gethsemane“ und „Spektrum“ (2013/14) fühlen. „Gethsemane“ präsentiert sich fokussiert, „Spektrum“ eher dynamisch. Beide Bilder agieren miteinander, kommen in Bewegung zueinander. Während „Gethsemane“ einen Echo-Raum öffnet, offeriert „Spektrum“ eine Erzählkonstellation von breit gefächerten Kristallisationsmomenten. In Kombination des einen Effekts mit dem anderen entsteht etwas überraschendes Drittes – ein Erlebnis polyphoner Schönheit.

Im Verlaufscharakter der „Amplitude“ (2017), einem Spannung provozierenden, langgestreckten Querformat mit ähnlichem Kraftpotential findet der schweifende Blick einen Zwischenhalt. Sich als Teil eines übergeordneten Ganzen des Lebendigen begreifend hat Denise Richardt die körperliche Dimension dieses wuchtigen Bildkörpers nicht gescheut und bildet sich selbstbewusst in ihm ab.

Der Realität nähert Denise Richardt sich mit allem, was ihre Malerei zu bieten hat. Um fundamentaler Erkenntnisse willen ist sie unterwegs mit dem Reflektierten und dem Sinnlichen. Mit genauer Kenntnis des Filmischen und Fotografischen, in der Analyse der Rolle der Medien, des Internets und der Werbung unter aufmerksamkeitsökonomischen Aspekten wie unter dem bewusstseinsstimulierenden Druck der Amüsiergesellschaft.

An den Pentimenti lässt sich ablesen, wie die Vorgänge des Übermalens abliefen und wie das jeweilige Bild zu dem wurde, was es heute ist. Die Künstlerin reizt gezielt die Spannung aus zwischen dem, was ein Bild zeigt (eine bestimmte Seinsweise, etwas Existentielles) und dem Material, mit dem es diesen Zustand Schritt für Schritt erreicht hat. Es sind Verlaufsformen von Farbe, malerische Aggregatzustände im Wandel, die uns die Künstlerin vorführt. Jedes Bild stellt einen erst erreichten und ggf. erweiterten Freiheitsgewinn dar.

Denise Richardts Aquarelle, Gouachen und Zeichnungen sind in diesem Rahmen als Notizen, Vor- und Nacharbeiten eigenen Werts zu verstehen, die spezifische Ruhe- und Konzentrationspunkte bilden in der Flüchtigkeit der Zeit.

Christoph Tannert
(August 2017)