__Text > Larissa Kikol: Den Berg an sich braucht man nicht

Larissa Kikol

Den Berg an sich braucht man nicht. Markierungen von Landschaft (2024)

Wälder und Bäume sind ein stetig wiederkehrendes Motiv in Denise Richardts Malerei. Seit Jahrhunderten lebt der Mensch in einer ganz besonderen Beziehung zum Wald. Sogar das Wort Waldeinsamkeit hat sich hieraus geprägt. Der Mensch sucht Zuflucht im Wald, Rückzug, Denkräume in schwierigen Lebensphasen, aber auch Quellen von neuer Energie, Kraft und Reinheit. Die natürliche Ansammlung von Bäumen in einer großen Weite ist längst zu einem hilfespendenden Ort für den Menschen geworden. Natürlich hat der Wald immer noch etwas Schreckhaftes, er dient als Schauplatz für Krimis, Verbrechen und verbotene Verstecke. Doch daneben, und im hellen Tageslicht, ist er vor allem ein natürlicher Raum, den man auf Grund seines positiven Einflusses auf die menschliche physische und psychologische Verfassung aufsucht.

Das war nicht immer so. Lange galt der Wald als Wildnis, und damit als Gegenentwurf zu Zivilisations- und Arbeitsräumen. Wohnten Menschen in Dörfern zusammen, arbeiteten sie auf Feldern, so war der Wald auch stets eine Trennlinie zu ihrem Alltagsleben, und damit zu ihrem Kontrollfeld. Die Wildnis machte Angst und barg Gefahren. Der Waldrand blieb eine Grenze, die man nicht freiwillig überschritt. Denn dahinter war das Ungeordnete, lebte das Wilde, waltete das Dunkle. Denise Richardts Bild Waldrand verweist ebenfalls auf diese Überschreitung der Räume. Die Stimmung ist nicht konkret gefährlich, aber auch nicht eindeutig harmonisch. Eine geordnete Zivilisation ist hier jedoch zu Ende. In Waldrand scheint ein Wind zu wehen, der eine abenteuerliche und auch unvorhersehbare, wilde Landschaft prophezeit.

Im alten Glauben waren der Waldrand und der tiefe Wald dahinter die Heimat für Monster, böse Kräfte, schwarze Magie, und von Räubern. „Die Waldrandzone bildete ‚eines [der] von Dämonen, Tierwesen und anderen mythologischen Geschöpfen am dichtesten besiedelten und belebtesten Gebiete“1, schreibt Albrecht Koschorke über die Geschichte des Horizonts.

So stellte sich die Frage, warum Gott diese bösen Räume in seiner Welt zu ließ. Die Menschen erklärten es sich damit, dass es Orte der Prüfungen seien. Aber nicht nur der Wald war negativ konnotiert. Auch die Berge, ein weiteres Motivfeld von Denise Richardt, zählten dazu. Mit Nichten waren beispielsweise die Alpen schon immer ein schöner Anblick wert gewesen. Als sie noch die gefährliche Wildnis verkörperten galten sie gar als hässlicher Schandfleck in der Landschaft. Mit der Aufklärung und dem technischen Fortschritt änderte sich dies. Durch das Zeitalter der gesundheitlichen Kuren für Wohlhabende bis zum Ferientourismus und Massenurlaube, die schließlich die breite, arbeitende Bevölkerungsschicht miteinschloss, schreibt die „wilde“ Landschaft Erfolgsgeschichte. So weit, bis sie selbst wiederum darunter leidet und Natur und Umwelt bedroht wurden.

Somit sind Landschaften immer Bilder, die man lesen kann. Sie sind voller Zeichen, Referenzen, Stimmungen, Symbole, Kulturen. Sie reichen von Religiosität und Spiritualität, zu Herrschaftsbildern, über Romantik und Melancholie, zu Freizeitvergnügen und Abenteuer, bis zu Umweltkatastrophen und der Klimakrise.

Wenn Denise Richardt Landschaften in ihre Bilder aufnimmt, dann aber nicht um Landschaftsgemälde zu produzieren. Narrative finden nicht statt. Sie holt die Lesbarkeit aus der Landschaft wieder heraus, negiert sie, übermalt sie mit ihrem gestischen, halb abstrakten Malstil.

So stammen ihre Inspirationen zwar aus den Landschaften, besonders aus denen um sie herum, die sie erlebt, aber in ihrer Kunst lösen sie sich stets auch immer etwas auf.

Die Bildreihe Dämmerung evoziert im Titel vielleicht etwas Mahnendes, Anklagendes, andererseits könnte aber auch etwas Trauriges, Bedrückendes gemeint sein. Doch die Gemälde dieser Serie sprechen weder in die eine oder andere Richtung. Besonders bei Synkope wird dies deutlich. Nur durch den Kontext der anderen Bilder lassen sich im oberen Bildfeld noch Stämme, Bäume oder Tannen erahnen. Das Motiv der Dämmerung ließe sich durch das Lesen des Titels in die schwarze Farbe übersetzen. Aber eigentlich ist dieses Bild schon ein abstraktes. Stünde es für sich alleine und ohne Titel, sähe man vor allem Malerei.

Die dunkle Masse in der Mitte des Bildes wird durch seine horizontalen, leichten Schwünge in Bewegung gehalten. Dann, darüber senkrechte Striche, die die große schwarze Form provozieren, auflockern, kontrastieren. Wie ein Platzregen oder wie eine gestische, härtere Arbeitsweise. Synkope deutet schließlich auch auf den kurzen Kreislaufkollaps hin, eine Unregelmäßigkeit des Lebens, in der Musik wird damit ebenfalls eine Abweichung des Rhythmus bezeichnet.

Das Dunkle, weit gestrichene in der Mitte klingt hingegen auch in sanfteren Tönen an. Dazwischen scheinen verstreute Lichter hervor, in Hellblau, Hellgrün, gelb, und fast in Weiß. In Synkope wirken verschiedene Kräfte und Klänge, die in unterschiedlicher Dynamik das Bild in Spannung halten.

Auf Nachtwald tritt der Wald zwar deutlicher hervor, aber auch hier war die Malerei als Malerei wichtiger, als ein Stück Landschaft darzustellen. Die grünen Partien, vielleicht anfangs durch Gras angestoßen, transformieren sich auf dem Gemälde zu sturzähnlichen Farbbächen. Die haptische Lust während des Pinselauftrags lässt sich leicht erahnen. Sinnliche Farbzusammenstellungen, Übermalungen und Kompositionen, die sich von Landschaftsstrukturen lösen, übernehmen die Motivation. Das Bild basiert auch auf einen Besuch der Künstlerin in Pompei. Die dortigen Körperabgüsse der einst verbrannten Leichen seien tief beeindruckend gewesen, auf eine gruselige Weise. Nachtwald enthält diese Eindrücke, obwohl sie nicht konkret aufgemalt wurden. In den dunklen Ebenen können sie jedoch liegen, schweigend, wartend hervor geholt zu werden.

 

Denise Richardt löst sich zwar niemals so ganz von den figürlichen Vorbildern, also den Naturräumen, aber sie lotet in der figürlichen Malerei aus, was sie an Abstraktion hereinholen kann.

Diese fast spielerische Malweise unterstützt auch die Komposition in Weg hinauf. Der große braune Hügel mag zwar naturinspiriert sein, eben ein Weg hinauf, aber man merkt deutlich wie dieses braune Volumen vor allem ein Anstoß, eine Gelegenheit bot, hier freier malerisch zu arbeiten. In seinen verschiedenen Brauntönen, die bis ins graubläuliche oder rosarote reichen, wirkt der Hügel losgelöst von seiner Bestimmung in der Landschaft. Er wird farbliche Materie und läuft sich in dem darunterliegenden „Weg“ aus. Hier ist eigentlich kein Weg festgehalten, sondern eine Setzung von leichten Pinselschwüngen, die durch die links danebenliegende, dunkle und energische Form kontrastiert werden. So entstehen Spannungen, die die Komposition bewegen und in Reibung halten.

Denise Richardt betonte im Gespräch mit mir, dass sie keine Landschaftsmalerin sei. Damit hat sie Recht. Es geht ihr nicht um wiedererkennbare Orte, nicht um Dokumentation oder das Festhalten von vorgefundener Natur. Was sie umsetzt, sind vielmehr Markierungen von Landschaften, die sich in Linien für Baumstämme, oder grobe Formen für Hügel oder Berge ausdrücken. Diese Markierungen sind letzte Anker, die sie in der figürlichen Malerei halten. Weite Teile des Bildes entstehen freier, in abstrakter Reichweite, einzig der Malerei geschuldet.

Die Aquarellarbeit Prerow ist ein gutes Beispiel. Verschiedene farbliche Pinselstriche schweben auf dem weißen Blatt. Einzig die obere Partie deutet Berge an, durch die blaue Fläche mit einer Art Ecke darin und die darunterliegende braune Farbschichtung. Ansonsten besteht das Blatt aus farblichen Verläufen und Inselkompositionen. Sie könnten alles sein und nichts. Die Erinnerung an eine Landschaft wird nebensächlich, der Blick verliert sich in den Farbtiefen und ihren wässrigen Ausläufern, die faszinierend einzig die Sprache der Malerei sprechen.

Die Aquarelle malt Denise Richardt draußen in der Landschaft. Material dafür hat sie bei ihren Spaziergängen immer dabei. Dabei lässt sie sich von ihren persönlichen visuellen Erlebnissen leiten, unabhängig vom konkreten Ort.

Die größte Herausforderung sei der Berg gewesen, erklärte sie. Die Darstellung von Bergen ist eigentlich ziemlich einfach, da wenige grafische Linien oder Konturen ausreichen um die Idee von Bergen zu vermitteln. Ein, zwei Kanten oder eine kleine gezackte Linie, und schon sind die Berge da. Genau das sei das Problem gewesen. Richardt wollte im Malerischen bleiben, im Wechselspiel der Uneindeutigkeit. Und dann nahm sie auch noch genau den Sainte Victoire, den berühmten Berg der Kunstgeschichte – dank Paul Cézanne. In seiner große Bildreihe dieser frontalen Ansicht schreibt sich die Gipfelkontur fest in seine Kompositionen ein. Mal hebt sie sich eindeutig und gegenständlich von der umliegenden Landschaft ab, mal versuchte er bereits sie durch seinen fleckigen Farbauftrag mit der umliegenden Szenerie zu verweben.

Richardts Bildserie über den Sainte Victoire beinhaltet mehrere Leinwände, in denen die Bergkontur und das ‚Gipfelige‘ entschärft wurde, bzw. sich durch Doppelungen oder Farbschichten aufzulösen beginnt. Wie in Grat oder Morgen. Auch hier bleibt der Blick nicht beim Lesen eines Berges hängen, sondern verliert sich in Farbformen, die aufquellen oder sich niederlegen (Morgen), oder sich türmen, zusammenfallen und senkrecht verwischen (Grat). Der Sainte Victoire kann hier als reine Zufälligkeit gelten. Denise Richardts hätte ebenso gut vor einem anderen Berg stehen können, oder, ebenso gut vor keinem Berg stehen können. Es ist keine Hommage an Cézanne entstanden, nein, es sind Farbschliere, Gesten und Striche, die die Bilder zu bewegten Räumen machen. Möglich wäre bei Grat, Morgen, Roter Berg und Staffelung auch eine Vogelperspektive auf eine Landschaft. Dann sähe man keinen Berg, der sich frontal aufrichtet, sondern lediglich Flächen, verschiedene Oberflächen und Strukturen. Sie könnten von Waldböden stammen, wilden Wiesen oder Ufern. Den Berg an sich, braucht man nicht.

Auch die großformatige Arbeit Kirschbäume Gloria wirkt wie eine freie Komposition an malerischen Elementen und figürlichen Markierungen von Ästen und Stämmen. Blüten lassen sich hineindenken, besonders in die weißen, gelben, rosa und hellen Pinselgesten. Wie der Baum nun genau aussieht, aus welchen Perspektiven er gemalt wurde und in welcher Landschaftsstimmung er steht, liegt in der Rezeption des Betrachters. Denise Richardt gibt keine konkrete Situation vor, sie setzt einzelne Möglichkeiten ins Bild, wie Buchstaben, aus denen der Betrachter schließlich im Genuss der Malerei seine eigene Geschichte erzählen kann. Ob sie nun von Kirschbäumen handelt, oder von einer Erinnerung an einen Spaziergang oder einen besonderen Wahrnehmungsmoment, bleibt ihm überlassen. Wichtig sind die Möglichkeiten die Denise Richardt setzt, die malerischen, fast abstrakten Bausteine, die in der Rezeption zu vielen eigenen, inneren Bildern aufgetürmt werden können.

1Albrecht Koschorke, zitiert in: Ludwig Trepl, Die Idee der Landschaft, transcript Verlag, Bielefeld, 2012, S. 102